Sonntag, 17. Februar 2008

Halbzeit

¡hola!

¿Cómo están allí en Europa? ¿Todo bien?
Dieser Bericht, die Fotos und, man staune, auch die Videos handeln zum größten Teil vom Karnaval und den ihn umgebenden Ritualen.
Alles begann mit der Ch`alla de la Oficina (Reinigung/Segnung des Büros) am Freitag vor Karnaval, also am 1. Februar. Im gesamten Büro wurden Konfetti mit Zuckerkügelchen verstreut, die Schreibtische mit Luftballonen und Faschingsschlangen geschmückt und danach in alle Ecken Alkohol gegossen. Dieses Ritual, wie alle Ch`allas, sind zu Ehre der Pachamama, also der Mutter Erde (siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Pachamama).
Am Nachmittag fuhr ich dann in Richtung Oruro, wo der bekannteste Karnaval Boliviens stattfindet. An diesem Wochenende sind alle Hotels ausgebucht, trotz der gestiegenen Preise, doch ich konnte zum Glück im Haus einer Bekannten unterkommen. Die sicherlich wichtigste Investition dieser Tage war mein Plastikponcho, denn immer und überall wird mit Wasserbomben geschossen und mit Schaum gesprüht. Vor allem die Kleineren haben einen Riesenfreude, wenn sie auf der Strasse einen Gringo (Weissen) getroffen haben. Am Samstag ist dann die grosse Parade der verschiedensten Tanzgruppen, die von 8 Uhr früh bis lange nach Mitternacht dauert. Die BolivianerInnen, die daran teilnehmen, geben zum Teil ein Vermögen aus fuer die Miete der Kostueme, die Startkosten usw. Schon am Vormittag sollte man sich einen Platz auf einen der Holztribühnen reservieren, da am Samstag dann alles voll wird. Ob allerdings diese Tribühnen einer TÜV-Prüfung standgehalten hätten, ist mehr als fraglich. In diesem Zusammenhang muss ich auch über ein trauriges Erlebnis berichten: Die Tribühne wird ueber eine Holzleiter betreten, die durch das Wasser und den Schaum extrem rutschig wird. Am Nachmittag hoerte man auf unserer Tribüne auf einmal ein "Platsch" und dann einen Aufschrei. Zuerst dachte ich, dass ein Kind zwischen den Sitzen durchgerutscht sei und auf den Boden gefallen ist. Doch es war ein, augenscheinlich betrunkener, Mann, der auf der Leiter ausgerutscht war und nun bewusstlos auf dem Boden lag. Das Traurige ist, dass es, obwohl so viele Menschen versammelt waren, ewig dauert bis Hilfe kommt. Zuerst in Form der Militärpolizei, die ihn ihn den Hauseingang zerrte (wenn der eine Wirbelverletzung hatte!) und nach etwa einer halben Stunde in Form des Roten Kreuzes. Aber glaubt nicht, dass hier Spezialisten mit Ausrüstung kamen. Nein, Jugendliche, ich schaetze zwischen 15 und 23 Jahren, die selbst auch nicht wussten, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Was mit ihm weiters passiert ist, weiss ich leider nicht - ich wuensche ihm auf alle Fälle das Beste fuer die Genesung. Anzumerken ist hier noch, das der Karnaval in Bolivien im ganzen Land ueber 70 Tote gefordert hat, zum Grossteil Alkoholvergiftungen.
Aber es soll nicht der negative Eindruck überwiegen: Der Karnaval in Oruro war fuer mich eine einmalige Gelegenheit, die verschiedensten Tänze kennenzulernen und einfach auch zu feiern. Für mich war verwunderlich, dass die Leute hier in der Hochebene, die mir bis jetzt eher als zurueckhaltend und oft auch als traurig erschienen sind, ein solches Riesenfest zu feiern.
Am Sonntag ziehen die Gruppen dann ein zweites Mal ein, allerdings war ich da schon auf dem Weg in Richtung Cochabamba (siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Cochabamba) . Dort genoss ich fuer zwei Tage das angenehme Klima, streifte ein wenig durch die Stadt und bestaunte die gröesste Christusstatue der Welt.
Bei der "Heimfahrt" nach La Paz hatte ich in Oruro noch einmal die Gelegenheit eine Ch`alla mitzuerleben. Am Dienstag nach Karnaval ist der "Tag der Ch`alla" und es wird alles "gesegnet/gereinigt", was einem wichtig ist - Häuser, Autos, Wohnungen, Geschäfte usw.
Zur Zeit befinde ich mich in La Paz, wo ich tagtäglich im Büro meiner Organisation arbeite - vor allem bereite ich mich auf den Unterricht im Dorf vor, unter anderem indem ich die deutschen Texte der, dankeswerterweise vom BG/BRG Freistadt zur Verfügung gestellten, Englisch-Lehrbücher ins Spanische übersetze.
Am letzten Samstag wurde ich vom Stiftungsleiter, Don Franklin Bustillos, zur Hochzeit seiner Nichte eingeladen - einzige Auflage: im Anzug zu erscheinen. Also ging es am Freitag noch zum Schneider, der mir einen Anzug anpasste und am Samstag noch zum Hemd-und-Schuhe-Kaufen. Der Anzug war weniger Problem, da er ja an meine Größe angeschneidert wurde, aber ein passendes Hemd und Schuhe zu finden, war beinahe unmöglich. Das die Ärmel des Hemdes dann bereits in der Armbeuge endeten, störte dann auch niemanden und so halbwegs passende Schuhe fand ich nach einer mehrstündigen Einkaufstour. Hier muss ich beim Schuhekaufen nicht einfach aussuchen wie in Österreich, sondern ich frage zuerst ob sie Schuhgröße 45 ueberhaupt fuehren. Meist ist die Antwort dann sowieso - Oh, nein. Bis maximal Größe 43 habe ich etwas. Aber gut: All den Problemen zum Trotz wurde die Hochzeit, die in einem der teuersten Hotels der Stadt stattfand, ein wunderschönes Fest mit viel Tanz und gutem Essen. Apropro Tanz: Komisch fand ich, dass man zwar in Paaren tanzt, allerdings steht man sich nur gegenueber und eigentlich tanzt dann ein jeder fuer sich. Ich als Österreicher, der gerne engumschlungen Walzer tanzt, fühlte mich zuerst ein wenig verloren und glaubte, meine Tanzpartnerin hatte nicht wirkliches Interesse. Als ich aber merkte, dass keiner so richtig aufeinander abgestimmt tanzte und sie noch mehrmals mit mir das Tanzbein schwang, war ich beruhigt, dass das Problem nicht bei mir lag. :-)
Am Sonntag genoß ich bei einem Spaziergang im Süden der Stadt mit Andreas, dem anderen Praktikaten der Fundación Pueblo, und zwei seiner gerade angekommenen Freunden das schöne Wetter, wurde beim Überqueren eines Baches etwas nass und schmutzig und fuhr zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Quad.
Und dann war schon wieder Montag und die neue Arbeitswoche begann, die dieses Mal ein "Jubiläum" brachte. Am letzten Mittwoch war genau Halbzeit meines Aufenthaltes in Bolivien - in ein bisschen weniger als sechs Monaten werde ich schon wieder österreichischen Boden unter den Füssen haben und ich freu` mich schon darauf - vor allem natuerlich auf euch!
Hier noch die Links zu den Fotos, Videos usw:
http://www.youtube.com/watch?v=k3HjOR-1Ym4 (erstes Video vom Karnaval in Oruro)
http://www.youtube.com/watch?v=3IZtWt23JFQ (zweites Video vom Karnaval in Oruro)
auch "derStandard.at" wiedmete sich in einer Lesereise dem Karnaval in Oruro: http://derstandard.at/?id=2777353
Und last but not least: meine Fotos:
Carnaval, Ch`alla, Cochabamba, La Paz


Liebe Grüße aus La Paz,
ich wünsche euch nur das Beste,
Andreas

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