Sonntag, 22. Juni 2008

Der (wahrscheinlich) letzte Eintrag vom Campo!

Queridos amig@s:

Da in Bolivien alles immer sehr unplanbar ist, kann es sein, dass meine Zeit in Tomaycuri bereits schneller als geglaubt voruebergegangen ist. Aber dazu später.
Zuerst einmal der Bericht, was in den letzten Wochen im Norte de Potosí passierte: Ebenfalls unplanbar ist zuletzt die Abfahrtszeit der Flota (Überlandbus) geworden, mit der ich normalerweise am Sonntag um 10 Uhr ins Dorf fahre. Am 25. Mai hiess es nur, sie sei nicht angekommen. Stress, Stess um noch einen Platz in einer anderen flota zu ergattern, die zwar nur bis Macha (ein Dorf vor Tomaycuri) faehrt, aber von dort kann man ja dann irgendwie schauen, wie man weiterkommt. Im Endeffekt fuhr sie dann sogar bis Ocuri (ein Dorf nach Tomaycuri) - aber gut, wir sind angekommen.
Am Sonntag darauf wieder dasselbe Spiel: Flota um 10 Uhr nicht angekommen, zur anderen, die ab sofort immer (!) bis nach Ocuri (ein Dorf nach Tomaycuri) faehrt und es gab mittlerweile Geruechte, dass die 10-Uhr-flota eingestellt worden ist. Problem war aber ein anderes: Fuer die Fahrt, die normalerweise fuenf bis sechs Stunden dauert, brauchten wir zehn. Denn leider ging einem Reifen auf der Strecke die Luft aus und es dauert, wenn man keinen Ersatzreifen mithat, bis der kaputte notduerftig geflickt ist, bis noch einen Reifen von hinten, wo es Doppelreifen hat, vorne montiert ist und schlussendlich der kaputte wieder hinten angemacht ist. Soweit so gut - zweieinhalb Stunden vergangen. Klarerweise kann man mit einem notduertig geflickten Reifen nur bis ins naechste Dorf fahren, wo er dann in einer Zwei-Stunden-Reparatur "gut" geflickt wurde. Danach faehrt man weiter, bis einem einfaellt, dass es eigentlich schon Zeit zum Abendessen ist. Also noch einmal Halt und eine Stunde Zeit um sich den Bauch volllzuschlagen. Im Endeffekt bin ich um 10 Uhr abends todmuede und "etwas" genervt nach einer 10-stuendigen-Reise in Tomaycuri angekommen und gleich ins Bett gefallen.
Reisen am Land von Bolivien ist eben eine Sache fuer sich und man braucht vor allem Zeit (siehe auch Bericht vom 22. Mai).
Noch eine kleine Anekdote von meiner Dorfverantwortlichen: Allen Ernstes erzaehlte sie mir, dass es im Bení (Departament von Bolivien) noch Leute im Urwald geben, bei denen die Evolution noch nicht so weit fortgeschritten sei. Als ich sagte, dass ich das nicht glaube, meinte sie nur: Ich habe es doch selbst gesehen. Traurig, wenn man zusaetzlich weiss, dass sie die bolivianische Matura und ein abgeschlossenes Jus-Studium hat.
Leider war es im Dorf in den letzten Wochen in der Nacht immer sehr kalt und ich verkuehlte mich deswegen - vor allem mein Hals schmerzte wieder und ich hatte teilweise keine Stimme. Mittlerweile ist aber, nach einigen Tagen Aufenthalt im etwas waermeren Llallagua, wieder gut und ich fuehle mich gerade ganz gesund, was ja leider der Ausnahmezustand in den letzten zehn Monaten war.
Am 29. Mai fuehrte ich den "Taller de Germinados" (Seminar zur Keimlingsherstellung) mit den Gastmüttern im Dorf durch. Obwohl die Verständigung nicht leicht war, da die meisten beinahe nur Quechua sprechen, denke ich, dass sie verstanden haben, wie gesund, Keimlingssprossen der verschiedenen Getreide sind. Wir bastelten gemeinsam fuer jede Gastmutter mit PET-Flaschen eine "Keimflasche" und ich schenkte ihnen noch eine Ration Quinua, damit sie gleich die ersten Sprossen ziehen konnten.
Da in Bolivien am 6. Juni "Día del Maestro" (Tag des Lehrers) ist, war an jenem Freitag schulfrei und die LehrerInnen das ganze Wochenende betrunken. Ich nutzte das verlaengerte Wochenende und fuhr mit Esther und Philippe, den beiden Schweizern aus Llallagua, nach Sucre. Leider blockierten aber jenen Freitag die Buschauffeure die Stadteingänge von Sucre und es gab wirklich kein Durchkommen. Zum Glueck war aber der Streik nach drei Stunden Warten um sechs Uhr abends bereits zu Ende und wir konnten zum Haus einer anderen Schweizerin fahren, wo wir uebernachteten. In Sucre genossen wir vor allem das ausgezeichnete Essen, das waermere Wetter, die wunderschoene Stadt und - klar - die Fussballspiele der EM, die sogar bis nach Bolivien uebertragen werden. Ein paar Hintergrundinformationen zu Sucre: http://de.wikipedia.org/wiki/Sucre
Am Montag gab es dann in ganz Sucre kein Benzin, da ja die vergangene Woche kein Transporter in die Stadt konnte. Doch die Tankstellenangestellten machten uns dennoch Hoffnung und meinten, zu Mittag waere der LKW doch sicher schon angekommen. Also reihten wir uns in die Schlange der wartenden Fahrzeuge ein und - genossen die Sonne fuer zwei Stunden. Als es dann hiess, wahrscheinlich komme heute kein Benzin mehr, tankten wir aus unseren mitgebrachten Kanistern, wobei wir nachher sehr nach Benzin stanken.
So kam ich dann doch noch in Tomaycuri an. Allerdings blieb ich dort nicht mehr als einen Tag: Am Dienstag Nachmittag hiess es, dass die Lehrer ab Mittwoch in Streik treten und Sandra, die Dorfverantwortliche der Fundación Pueblo, und ich fuhren auf der Ladeflaeche eines LKW noch in der Nacht bis Llallagua. Ich hatte die Kälte ein wenig unterschaetzt, aber zum Glueck waren die geladenen Zementsaecke mit einer Plastikplane bedeckt, die ich kurzerhand als Decke verwendete und darunterkroch.
Da die Lehrer dann drohten, ab Montag in unbegrenzten Streik zu treten, wurden einfach von der Regierung die Winterferien um zwei Wochen vorverschoben und begannen nun bereits vergangenen Montag. Zur Zeit ist die Diskussion, ob die Lehrer nun diese Entscheidung akzeptieren oder trotzdem Unterricht abhalten werden. Oder doch streiken, oder zusaetzlich noch Strassen blockieren, oder, oder, oder ...
Fuer mich kam natuerlich, wie fuer alle hier, das Schulende sehr ueberraschend. Da ich mich nicht einmal von den Stipendiaten verabschiedet habe, bin ich auch ein wenig traurig darueber, dass es nun so ploetzlich zu Ende war. Ich werde ihnen aber fuer jeden ein Gruppenfoto mit mir zurucklassen, damit sie zumindest eine kleine Erinnerung haben, an ihren "tío" (Onkel), wie ich immer liebevoll genannt wurde.
Dafuer veranstaltete ich am Freitag, den 13. Juni, eine kleine Abschiedsfeier in Llallagua, wobei ich die Mitarbeiterinnen hier zu einem Abendessen mit guter oesterreichischer Nachspeise - Palatschinken - einlud. Obwohl manche Personen das Datum nicht so gut fanden, war es trotzdem eine nette kleine Feier.
Am vergangenenen Mittwoch fuhr ich das letzte Mal nach Tomaycuri um meine Sachen rauszuholen und von den Leuten Abschied zu nehmen. Weiters uebergab ich die fuenf neuen Fussbaelle, die von einem Lehrer des Gymnasium Freistadts bezahlt wurden, an die Becados (Stipendiaten), die eine grosse Freude hatten, da zur Zeit alle anderen Baelle bereits kaputt sind.
Am Donnerstag lud ich noch die Dorfverantwortliche und zwei Personen des Dorfes auf Marmelade-Palatschinken ein, die ihnen sehr schmeckten. Auf der einen Seite waren diese letzten Tage traurig: Von manchen Personen, zum Beispiel meinem Hausbesitzer, einigen Gastmuettern oder den SchuelerInnen, fiel es mir nicht leicht, Abschied zu nehmen, da ich weiss, dass ich sie vielleicht nie wieder sehen werde, obwohl ich allen versprochen habe, wenn ich wieder genug Geld fuer den Flug habe, zurueckzukehren und sie zu besuchen.
Gestern fuhr ich dann, nachdem ich wieder einmal sechs Stunden gewartet hatte, wieder nach Llallagua und genoss nach der staubigen LKW-Fahrt die Dusche. Am Abend feierten wir dann mit der Bevoelkerung das den andinen Jahreswechsel - seit heute befinden wir uns im Jahr 5516. Ab zirka 11 Uhr abends wird am Stadtplatz getanzt und gefeiert bis es Mitternacht ist und das neue Jahr beginnt. Der richtige Jahreswechsel ist aber erst am 21. Juni bei Sonnenaufgang. Auf diesen warten alle und vertreiben sich die Zeit mit Tanz und sehr viel Alkohol. Danach wird ein Berg bestiegen und man wartet auf Tata Inti (Vater Sonne). Mit den ersten Sonnenstrahlen beginnt das neue Jahr und alle koennen schlussendlich ins Bett gehen. Wer Spanisch kann oder auch nur um die Fotos anzusehen, hier zwei Links zu Hintergrundinformationen: http://www.rpp.com.pe/detalle_108045.html http://www.eldiario.net/noticias/nt080621/6_06clt.php

Zur Zeit befinde ich mich in Llallagua und geniesse ein wenig den Luxus, zum Beispiel warme Dusche, wenn es gerade nicht wieder einmal kein Wasser hat. Untertags arbeite ich im lokalen Büro, wo ich auch meinen letzten Arbeitsbericht aus dem Dorf fertigstellte. Wer Interesse hat und Spanisch kann, hier der Link: http://www.doktus.de/dok/51474/informe_junio_2008.html
Alle die meinen Blog das ganze Jahr ueber fleissig verfolgt haben, koennen sich sicher noch erinnern, dass ich zur Weihnachtszeit in Arica, Chile, am "bolivianischen" Strand meinen Urlaub verbrachte. Auch Esther und Philippe waren vor einiger Zeit dort und haben sich nun die Muehe gemacht, einen "Vergleich Llallagua-Arica" zu schreiben. Da ich den Text wirklich toll finde und ich auch aehnliche Gedanken hatte, hier der Link: http://www.doktus.de/dok/51470/vergleich-llallagua-arica.html

Und last but not least, der Link zu den Fotos:


Ganz liebe Gruesse aus Llallagua nach Europa,

in weniger als 60 Tagen sehen wir uns,

Andreas

Keine Kommentare: